100 Jahre Entfestigung – der 6. Mai 1920

Ein kleiner Strategiewechsel

Der 6. Mai 1920 markierte einen kleinen Wendepunkt in der bis dahin von der Heeresfriedenskommission verfolgten Strategie in der Entfestigungsfrage, gaben die Deutschen an diesem Tag doch ihre Blockadepolitik gegenüber den alliierten Kontrollmächten ein Stück weit auf. Aber der Reihe nach.

Die Replik Generalleutnants August von Cramon auf die Note der I.M.K.K. vom 17. April folgte erst am 27. April. Auf deutscher Seite sei man wegen der im Friedensvertrag sehr kurz bemessenen Ausführungsfrist von sechs Monaten davon ausgegangen, „dass die Forderungen des Friedensvertrages sich nur auf Beseitigung der Anlagen erstreckte, die von militärischen Wert sind.“ Die nun von der I.M.K.K. geforderten Fristen seien zu kurz und nur einzuhalten, wenn man sich bei den Zerstörungen auf das Notwendigste beschränken würde. Dies sei auch auf finanzieller Sicht angezeigt, „um die Mittel für die Erfüllung der anderweitigen Verpflichtungen, die der Friedensvertrag uns auferlegt, nicht zu beschränken.“(2)

Dieser doch sehr durchsichtige Versuch, die noch nicht festgelegten deutschen Reparationen im Sinne einer Aussetzung der Entfestigung der aufgelassenen linksrheinischen Festungswerke zu instrumentalisieren, überrascht insofern, als die I.M.K.K. mit der Herausgabe der drei Kategorien am 23. April unmissverständlich die Zerstörung eben jener Werke eingefordert hatte. Doch so schnell war man auf deutscher Seite anscheinend nicht bereit, in dieser Frage klein beizugeben. Noch am 7. Mai hatte man daher intern die eingeschlagende Marschrichtung bekräftigt: „Es wird anzustreben sein, die Ueberwachungskommission davon zu überzeugen, dass es zwecklos ist, völlig veraltete Anlagen also Werke, besonders solche in unmittelbarer Nähe der Stadt oder innerhalb derselben zu zerstören.“ (1)

In einer anderen Angelegenheit gab die deutsche Seite allerdings, wie eingangs angedeutet, den Forderungen der I.M.K.K. schließlich nach. Bereits am 12. März hatte die Überwachungskommission u.a. Planmaterial im Maßstab 1:1000 bzw. 1:200 und Beschreibungen zu den einzelnen Festungswerken bei der Heeresfriedenskommission angefordert,(3) hatte aber bis zum 16. April keine Antwort von deutscher Seite erhalten. Mit ihrer Replik versuchten die Deutschen nun zu taktieren: Die Pläne seien nur vor Ort und jeweils nur in einem Satz vorhanden, eine Aushändigung der Originale sei daher kontraproduktiv, da diese dann bei den Besuchen der alliierten Offiziere in den jeweiligen Festungen fehlen würden. „Eine Neuanfertigung“, so von Cramon, „würde […] eine sehr lange Zeit benötigen, also den Beginn der praktischen Arbeit unabsehbar verzögern.“ Stattdessen möge man die betreffenden Pläne doch vor Ort einsehen.(4)

Es sollte sich aber sehr schnell zeigen, dass diese Hinhaltetaktik keinen Erfolg haben würde. Am 30. April machte die I.M.K.K. unmissverständlich klar, dass sie in Kürze die Übersendung der Pläne erwartete.(5) Die Heeresfriedenskommission entschied daraufhin am 6. Mai, der Forderung der Kommission nachzugeben: „Nach vorstehendem Schreiben des General Nollet hat der Versuch, der Interall. Kommission die Herausgabe von Einzelplänen vorzuenthalten, keinen Erfolg gezeitigt. Unser bisheriger Standpunkt muß daher hinsichtlich der zu schleifenden Festungen fallen gelassen werden. Es sind der Interall. Unterkommission Kopien der Einzelpläne der Forts, Batterien u.s.w. auszuhändigen […].“(6)

Für das am 1. Mai aus der Fortifikation hervorgegangene Koblenzer Entfestigungsamt bedeutete dies einen Haufen Arbeit, mussten doch innerhalb kürzester Zeit von allen Plänen Duplikate in mehrfacher Ausfertigung erstellt werden, und alles ohne moderne Kopierer! Am 23. Juni konnte das Amt schließlich die Schleifungspläne der Feste Kaiser Franz, der Bubenheimer Flesche, der Rübenacher und Metternicher Schanze an die deutsche Verbindungsstelle in Köln übersenden.(7) Einige Tage zuvor war der deutsche Entfestigungskommissar in Koblenz gewesen, um die Entfestigungsfrage vor Ort zu erörtern, was uns im Juni noch beschäftigen wird.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Schreiben Nr. 199/20 vom 7.05.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Dokument Nr. 47/20
(2) Schreiben der Heeresfriedenskommission, Generalleutnant v. Cramon, Nr. F.71/20, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Anlage zu Dokument Nr. 16/20
(3) Vgl. Schreiben der I.M.K.K. vom 12.03.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Anlage zu Dokument Nr. 109/20
(4) Schreiben der Heeresfriedenskommission, Hauptverbindungsstelle F, Nr. 30/20 vom 16.04.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Anlage zu Dokument Nr. 109/20
(5) Vgl. Schreiben der I.M.K.K. vom 30.04.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Dokument Nr. 109/20
(6) Schreiben der Heeresfriedenskommission, Hauptverbindungsstelle, Festungen Nr. F. 100.20 vom 06.05.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Kommentar zu Dokument Nr. 109/20
(7) Schreiben des Entfestigungsamts Koblenz Nr. 261/20 vom 23.06.1920, in: LHA Ko Best. 572,002 Nr. 4, Dokument Nr. 261/20