Ein Spaziergang über den Petersberg, 10. Dezember 1920
Das Fundstück der Woche 46/2016 ist ein Auszug aus einem Brief aus der Zeit der Entfestigung der Feste Kaiser Franz.
Die Autorin Amy Bowen (1884-1963) unternahm am 10. Dezember 1920 zusammen mit ihrem Mann Albert Bowen und einer Mrs. Crane einen Spaziergang über das Gelände. Ihre Eindrücke teilte sie ihrer Familie in den USA in dem hier zitierten Brief mit.
Der von ihr beschriebene Spaziergang über das von den amerikanischen Besatzungstruppen requirierte Militärgelände war keinesfalls selbstverständlich. So durften z.B. die deutschen Arbeiter nur mit „Forteintrittskarten“ auf das Gelände. Da Albert Bowen Militärangehöriger war, konnte er die Feste mit seiner Frau und seinem Gast vermutlich ohne Probleme betreten.
Ihr Weg führte die kleine Gruppe zunächst am linken Graben der Feste Franz entlang, an dem die Folgen der Ende November 1920 begonnenen Entfestigung schon zu sehen waren („der nun schon fast ein Trümmerhaufen ist“). Von dort gelangten sie zum Poternenvorhof mit dem Eingangsportal, dessen Inschrift Amy im Brief teilweise widergibt. Die Feste Franz lassen die Spaziergänger aber alsbald hinter sich, vermutlich auch, weil die Arbeiten hier in vollem Gange waren.
Stattdessen wanderten sie bis zum anderen Ende des Petersbergs zur Bubenheimer Flesche, an der die Entfestigungsarbeiten bereits am 20. November 1920 abgeschlossen worden waren. Dementsprechend sah das Festungswerk „ziemlich mitgenommen“ aus. Zu sehen gab es dort, neben vielen Trümmern, das kreisförmige Reduit mit dem davorliegenden Graben, sowie drei Pulvermagazine (hier: Pulverfabriken). Diese drei Magazine (Nr. 5-7) mussten 1922 wegen Baufälligkeit abgerissen werden, die im Brief erwähnten Wälle verschwanden in den 1930er-Jahren.
Amys Annahme, die Amerikaner hätten das Werk demoliert, ist allerdings nicht korrekt. Es waren deutsche Firmen, die die Arbeiten am Festungswerk durchführten, während den Amerikanern lediglich ein Beobachterstatus zufiel. Bemerkenswert ist auch ihre Beobachtung, dass das Festungswerk von außen nicht als solches erkennbar war, auch wenn man direkt davor stand.
Zuletzt spazierte die Gruppe dann zurück zum ehemaligen Korps-Bekleidungsamt auf der Moselflesche, um die dortige amerikanische Militärbäckerei zu besichtigen.
Coblenz, Dec. 10, 1920
„We had an interesting afternoon. Albert took Mrs. Crane and me over to Leitzel and showed us Festa Franz, an old German fort which is now being demolished. It is just across the road from Albert’s infirmary, so he sees the blasting at close quarters. But we wandered all around, along the old moat which is now almost a wreck, down by the main gateway where the inscription says it was built by Frederick William III in 1870-20, then around to the back (the whole thing covers many acres) to the most ancient fort, which is quite medieval in appearance. It is circular with thick masonry wall, is surrounded by a moat over which was evidently a drawbridge at one time. There are no windows, but many loop-holes. In recent years it has evidently been lighted by electricity, as there are remnants of wiring. The whole thing is being demolished by the Americans and looks rather battered. At various points around the grounds are buildings that were powder factories. These are surrounded by high earthen banks and cleverly concealed among the trees.
The whole fortress is inconspicuous. I had been past it on two sides many times before I knew there was a fortification there. Even at a short distance it looks like a very innocent knoll covered with trees.
We also viewed the Q.M. Bakery. Most of the work for the day was done, so we didn’t see it in operation. The only activity this afternoon was in the eight big ovens where hundreds of loaves were finishing off the baking process. But we saw all the apparatus–the great mixers that hold 250 pounds of flour, the vats for raising the bread, the shelves where the loaves are stored, etc. They made 9,500 loaves today.“
Koblenz, 10. Dezember 1920
„Wir hatten einen interessanten Nachmittag. Albert nahm Mrs. Crane und mich rüber nach Lützel und zeigte uns die Feste Franz, ein altes deutsches Fort, das nun abgerissen wird. Es liegt nur gerade über die Straße von Alberts Krankenhaus [Josefinenstift?], sodass er das Sprengen aus kurzer Distanz sieht. Wir jedoch wanderten ringsumher, entlang des alten Grabens, der nun fast schon ein Trümmerhaufen ist, runter zum Haupteingang, wo eine Inschrift besagt, dass es von Friedrich Wilhelm III. von 1817-20 errichtet wurde, dann weiter zum anderen Ende (die ganze Anlage erstreckt sich über viele Morgen) zu dem ältesten Teil des Forts, der sehr mittelalterlich aussieht. Er ist kreisförmig, hat starkes Mauerwerk und ist umgeben von einem Graben, über den offenbar einstmals eine Zugbrücke führte. Es gibt keine Fenster, dafür aber viele Schießscharten. In den letzten Jahren wurde es offenbar elektrisch beleuchtet, da Überreste elektrischer Leitungen vorhanden sind. Das ganze Werk wird von den Amerikanern abgerissen und sieht daher ziemlich mitgenommen aus. An verschiedenen Punkten im Gelände stehen Gebäude, die als Pulverfabriken dienten. Diese sind von hohen Erddämmen umgeben und geschickt inmitten der Bäume verborgen.
Das ganze Fort ist unauffällig. Ich bin viele Male an zwei Seiten an ihm vorbei gegangen bevor ich wusste, dass sich dort eine Befestigungsanlage befindet. Sogar auf kurze Distanz sieht es wie ein sehr unschuldiger kleiner Hügel aus, bedeckt mit Bäumen.
Wir besuchten ebenso die Quartermaster-Bäckerei. Die meiste Arbeit für den Tag war bereits getan, sodass wir sie nicht in Aktion sehen konnten. Die einzige Aktivität an diesem Nachmittag geschah in den acht großen Öfen, in denen hunderte Laibe den Backvorgang vollendeten. Aber wir sahen all die Gerätschaften – die großen Rührgeräte, die 250 Pfund Mehl fassen, die Tröge zum Gehen des Brotes, die Bretter auf denen die Brote gelagert werden, usw. Sie haben heute 9 500 Laibe hergestellt.“
Amys Briefe sind zwischenzeitlich online leider nicht mehr verfügbar.
Matthias Kellermann