Fundstück 20/2017

Die Autobiographie von Daweli Reinhardt, 2003

Das Fundstück der Woche 20/2017 ist die Autobiographie von Alfons „Daweli“ Reinhardt, geboren am 18. Juli 1932 in Wiesbaden. In seinen lesenswerten Erinnerungen geht Daweli Reinhardt u.a. auf das Leben seiner Familie auf der Feste Franz ein, wo diese im Dritten Reich und nach dem Zweiten Weltkrieg untergekommen war.

Schon bald nach seiner Geburt zog seine Familie von Wiesbaden nach Koblenz um, wo sie eine erste Bleibe im Reduit der Feste Kaiser Franz fand.

„Gelebt haben wir zunächst – wie man mir sagte, eine eigene Erinnerung habe ich an diese frühe Zeit nicht – in der Feste Franz. … Gewohnt haben wir dort innerhalb des früheren Kernwerks der Feste Franz. Dies muss man sich als stabile, massive Räume (Kasematten) innerhalb der Festungsanlage vorstellen. Die Unterkünfte waren auch für die damaligen Verhältnisse recht primitiv, aber wir waren erst einmal froh, dort untergekommen zu sein.„(1)

Als Sinti wird die Familie, wie andere an der Feste Franz wohnende, vom NS-Regime verfolgt. Bereits Mitte 1938 musste sie die Feste Franz und Koblenz verlassen, Daweli Reinhardt spricht von „Wegschaffung„. Ob dies mit der geplanten Umgestaltung des ehemaligen Festungsgeländes im Zusammenhang steht, ist nicht bekannt. Die „Abschiebung“ nach Mitteldeutschland wurde schließlich abgeblasen, sodass die Familie vorerst nach Koblenz zurückkehren konnte, zunächst in das alte Arresthaus in der Fischelstraße. Zwei Jahre später ging es zurück in die Feste Franz, wo die Familie regelrecht interniert war.

„Wir sind etwa 1940 von der Fischelstraße 32b in die Feste Franz in Lützel umgezogen. Ich nehme an, dass der Anstoß zum Umzug nicht von uns aus gegangen war, denn schließlich waren wir „festgeschrieben“ und wurden stark kontrolliert, warum sollten wir uns da verändern?“(2)

Dieser Umzug war zwar zunächst eine „Verbesserung“ zu den Zellen im Gefängnis, da die Familie fortan im Anhänger auf dem Gelände der Feste Franz wohnte. Am 10. März 1943 aber wurden sie ohne Ankündigung in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Daweli überlebte das Lager und kehrte mit seinem Bruder Josef an die Feste Franz zurück, wo sich die überlebenden Familienmitglieder wieder trafen. Trotz dieser Erfahrungen ließ sich die Familie wieder im Wohnwagen an der Feste Franz nieder, wo sie bis Ende der 1950er-Jahre blieb.(3) Aus der Notunterkunft Feste Franz entwickelte sich im Laufe der Jahre ein Elendsquartier mit unvorstellbaren Wohnbedingungen, das die Stadt schließlich 1958 räumen ließ.

„Immerhin war Ende der 50er Jahre die Zeit reif, um städtische Elendsquartiere zu beseitigen. An diesem Wohnungsbauprogramm hatten auch wir teil – aber nicht als Sinti, sondern als Bewohner der Feste Franz. Die Maßnahme war kein Luxus. Denn während das deutsche Wirtschaftswunder entstand, der „Nachholbedarf“ der Bevölkerung sich in „Fresswellen“ und in „Reisewellen“ nach Italien und sonst wohin Bahn brach, lebten wir immer noch in dem recht schäbigen Quartier in der Feste Franz. Unser Wohnwagen war unser zu Hause. […] So waren wir im Prinzip froh, die Feste Franz verlassen zu können bzw. zu müssen.“(4)

Ein Großteil der Bewohner, darunter auch Daweli Reinhardts eigene kleine Familie, wurde in einen neu errichteten Wohnblock in den Mittelweiden umgesiedelt, wo es die Familie allerdings nicht lange aushielt.(5) Das Kernwerk der Feste Franz, das so viele Jahre den Menschen einen Unterschlupf bot, wurde Anfang 1959 gesprengt, um es unbewohnbar zu machen.

Daweli Reinhardt, der als Gitarrist des Gypsy Jazz erfolgreich war, verstarb am 10. Dezember 2016 im Alter von 84 Jahren. Er wurde auf dem Lützeler Friedhof begraben. Eine Neuauflage seiner Autobiographie, die 2003 im Koblenzer Fölbach-Verlag erschien, ist in Planung.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Reinhardt, Daweli / Hennig, Joachim: Hundert Jahre Musik der Reinhardts. Daweli erzählt sein Leben, Koblenz 2003, S. 20.
(2) Ebd., S. 23.
(3) Vgl. ebd., S. 27, S. 41, S. 43 und S. 63.
(4) Ebd., S. 63
(5) Vgl. ebd., S. 65 und S. 77.