Fundstück der Woche 01/2022

Eisgang, 1929

Das Fundstück der Woche 01/2022 ist eine Serie von Fotografien von Hermann Menzel (1878-1951) vom Januar 1929 (die Bilder des Koblenzer Fotografen sind seit diesem Jahr gemeinfrei). Sie zeigt die gefrorene Mosel von Lay bis zum Deutschen Eck. Dass Mosel und Rhein vollständig zufroren, war früher keine Seltenheit. Dabei war dieses Phänomen nicht nur ein Vergnügen für die Bevölkerung, sondern auch eine tödliche Gefahr. Über den Eisgang des Winters 1829/1830 wird berichtet, dass sich das Eis auf dem Neuendorfer Feld bis an den Fuß des Petersbergs unterhalb der Feste Kaiser Franz geschoben hat und in Lützelkoblenz einige Häuser in Leichtbauweise zerstört wurden.(1)

Dabei stellten die gefrorenen Flüsse zunächst ein großes Spektakel für die Koblenzer dar. Die Mosel war bereits seit Dezember 1829 zugefroren, der Rhein dann ab Ende Januar 1830. Die Bevölkerung nahm die neugeschaffenen Übergänge über die Flüsse dankbar an, das Treiben auf dem Rhein bei Koblenz nahm eine Art Jahrmarktcharakter an, auf dem Rhein wurden warmer Wein und Backwaren verkauft, Handwerker aus der Stadt verlegten ihre Produktion auf das Eis und hielten dort Produktionsvorführungen ab, eine Militärkapelle spielte zum Tanz auf.

Abb. 1: Gefrorene Mosel am Deutschen Eck, Januar 1929

Ein tolles Treiben herrschte auf der Eisdecke der beiden Flüsse. Jeder Einwohner von Koblenz und Ehrenbreitstein, groß wie klein, arm wie reich, wollte mindestens einmal über das Eis der beiden Flüsse zum jenseitigen Ufer gegangen sein. Tausende von Menschen kamen aus der Umgebung, um das Schauspiel auf dem Rheine und der Mosel zu sehen. Doch die Freude währte nur einige Tage […].“(2)

Die Katastrophe nahm ihren Lauf, als bald darauf Tauwetter einsetzte. Am 8. Februar kam Bewegung in die Eisdecke des Rheins, zwei Tage später auch in die der Mosel. Hier war der Moselort und heutige Koblenzer Stadtteil Lay in der Vergangenheit immer mal wieder von Eis und in der Folge auch von Hochwasser bedroht. Grund dafür war eine Verengung des Moselbetts, an der sich auch häufiger eine geschlossene Eisdecke bildete.(3) Während des Eisgangs im Winter 1829/1830 wurde Lay besonders hart getroffen. Einige Häuser am Ufer wurden von den Eismassen einfach mitgerissen, bei einigen Fachwerkhäusern hatten sich die Eisplatten durch das Fachwerk hindurch geschoben, sodass die oberen Stockwerke auf den Eisplatten aufsaßen. Bis zu neun Meter hoch sollen sich die Eismassen damals in Lay getürmt haben,(4) ein Drittel des Ortes wurden verwüstet, in den Straßen türmten sich Trümmer und Eis.(5)

Abb. 2: Gefrorene Mosel bei Lay, 1929

Die Layer Katastrophe inspirierte den 1778 in Ehrenbreitstein geborenen Dichter Clemens Brentano (1778-1842) zu seinem Gedicht „Das Mosel-Eisgangs-Lied“, mit dem er auch zur Unterstützung der vom Eisgang und Hochwasser Betroffenen aufrief.(6) Er schenkte das Gedicht dem Koblenzer Frauenverein, der dieses beim Verlag Hölscher auflegen ließ. Der Erlös des Verkaufs ging an die Opfer der Katastrophe.(7)

Abb. 3: Gefrorene Mosel bei Winningen, 1929

Gefährlich wurde es, wenn sich die flussabwärts treibenden Eisschollen an Flussbiegungen oder Brücken ineinander verkeilten und dann einen natürlichen Damm bildeten, an dem sich das Wasser staute und so zusätzlich auch noch Hochwasser auftrat. Eine besonders kritische Stelle befand sich daher an der Alten Moselbrücke.

Quer legen sich die gewaltigen Eisschollen vor die engen Brückenöffnungen, das Wasser steigt, Eisblock türmt sich auf Eisblock, es knirscht und kracht, bis an die Häuser von Lützelcoblenz heran schiebt sich das Eismeer, bis plötzlich an irgendeiner Stelle eine Bresche entsteht und die Flut zur Normalhöhe herabsinken kann.“(8)

Im Winter 1829/1830 war der Druck des aufgestauten Eises so stark, dass die Brücke vorsorglich für den Publikumsverkehr gesperrt wurde.

Die Brücke erbebte unter dem gewaltigen Andrange ungeheurer Eisschollen in ihren Grundpfeilern; man durfte nicht mehr wagen, über dieselbe zu gehen, und es ward, als die Gefahr vorüber war, die Ausbesserung eines stark beschädigten Bogens nöthig.“(9)

Abb. 4: Eisgang an der Moselbrücke, 1929

Die Eismassen der Mosel schoben sich über das Rheineis bis zur Laubach den Rhein hoch und wichen in Lützel auf das Neuendorfer Feld aus. Hier lag das Eis vereinzelt noch bis in den Juni 1830 hinein, als die letzten Eisblöcke schließlich aufgetaut waren.(10)

Wohin das Auge blickte, war neues Eis zu sehen. Große Eisblöcke hielten die Trierer und Kölner Chausseen versperrt, viele Gartenmauern waren eingestürzt, alle vor dem Moseltor liegenden Gärten mit 10 bis 15 Fuß hohen Eismassen bedeckt, das ganze Neuendorfer Feld war davon überschüttet, und mitten auf diesem standen mehrere Moselschiffe, welche die Gewalt des Wassers und des Eises dahin geführt. Die Mosel hatte bei der höchsten Wasserhöhe sich einen Weg nach Neuendorf gebahnt; glücklicherweise aber fiel in dem Augenblick das Wasser, als die heranwogenden Eismassen das Dorf zu zerstören drohten; das Eis senkte sich dann zu Boden und blieb kaum einige Schritte vor dem Dorfe liegen.„(11)

Dieses Unglück und vor allem auch den Eisgang des Winters 1822/1823, bei dem 106 Schiffe zerstört wurden, nahm die Stadt schließlich zum Anlass, über den Bau eines Schutzhafens in Koblenz nachzudenken.(12) Es sollte allerdings noch bis April 1848 dauern, bevor die Arbeiten begannen, 1851 war der Lützeler Sicherheitshafen fertig gestellt.(13)

1929 waren Mosel und Rhein zwar ebenfalls zugefroren, eine Katastrophe wie 100 Jahre zuvor blieb den Koblenzern allerdings erspart. Das letzte Mal war der Rhein im Winter 1962/63 zugefroren, seitdem ist dieses Phänomen aufgrund der Einbringung von wärmerem Wasser z. B. durch Kraftwerke oder Kläranlagen, den allgemein steigenden Temperaturen und dem Ausbleiben von langandauerndem Frost nicht mehr aufgetreten.(14)

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Vgl. Eisenach, Joseph: Der Eisgang bei Koblenz vor 100 Jahren. Im Winter 1829/1830, in: Koblenzer Heimatblatt Nr. 3, 19.01.1930 (Online-Ausgabe bei Dilibri).
(2) Ebd.
(3) Vgl. Bellinghausen, Hans: Geologisch-geographischer Führer durch die Umgebung von Coblenz, Koblenz 1922, S. 29, (Online-Ausgabe bei Dilibri)
(4) Vgl. Der Moseleisgang im Jahre 1830, in: Frankfurter Abendblatt, 01.03.1830, zitiert nach: Koblenzer Heimatblatt Nr. 4, 06.04.1924 (Online-Ausgabe bei Dilibri)
(5) Vgl. Eisenach, Eisgang (wie Anm. (1))
(6) Brentano, Clemens: Das Mosel-Eisgangs-Lied, in: Koblenzer Heimatblatt Nr. 4, 06.04.1924 (Online-Ausgabe bei Dilibri).
(7) Vgl. Eisenach, Eisgang (wie Anm. (1))
(8) Bellinghausen, Hans: Geologisch-geographischer Führer durch die Umgebung von Coblenz, Koblenz 1922, S. 29, (Online-Ausgabe bei Dilibri)
(9) Coblenz und seine nächsten Umgebungen. Ein Wegweiser für Reisende, Koblenz 1838, S. 8 (Online-Ausgabe bei Dilibri)
(10) Vgl. Eisenach, Eisgang (wie Anm. 1)
(11) Der Moseleisgang im Jahre 1830 (wie Anm. 4)
(12) Vgl. Bär, Max: Aus der Geschichte der Stadt Koblenz 1814/1914, Koblenz 1922, S. 210ff. (Online-Ausgabe bei Dilibri)
(13) Vgl. Festungs-Geschichte von Coblenz und Ehrenbreitstein 1834 bis 1905, Bl. 8, in: Stadtarchiv Koblenz (StAK) HK 11 Dzi: Dziobek, Ernst: Kriegs- und Befestigungsgeschichte von Coblenz und Ehrenbreitstein, Koblenz 1834
(14) Vgl. Eiskatastrophen in der Vergangenheit, in: Rhein-Museum Koblenz. Museum für Kulturgeschichte und Schifffahrt. Begleittexte zur ständigen Ausstellung des Rhein-Museums, Hydrologie: Hochwasser – Niedrigwasser – Eisgang, Koblenz 2006

Abbildungen

Abb. 1-4: Sammlung M. Kellermann, Foto Hermann Menzel (1878-1951), 1929