Fundstück der Woche 14/2021

Fußartillerie, um 1900

Die Fundstücke der Woche sind dieses Mal mehrere kleinere Gegenstände, die uns an die Fußartillerieregimenter in Koblenz erinnern, insbesondere an das Fußartillerieregiment Nr. 8. Es sind ein paar einzelne Schnallen, die zwar winzig und verloren wirken, aber wegen ihrer einzigartigen Form eindeutig als Riemenschnallen eines Lederriemens zu identifizieren sind.

Abb. 1: Schnallen des Kinnriemens einer Pickelhaube.
Privatsammlung des Autors, aus dem Nachlass von Jan Reuter (†).

In der Tat gehören solche Lederriemen wahrscheinlich zu einem „Helm mit Spitze“, volkstümlich Pickelhaube genannt, eventuell aber auch zu dem Tschako eines Jägers. Der Name des Helmes ist eine Verformung des Spitznamens „Beckenhaube“, da solche runden Militärhelme Mitte des 19. Jahrhunderts eine echte Innovation waren, im Vergleich zu den bis dahin verwendeten hohen Leder-Tschakos. 1843 wurde die Pickelhaube in der preußischen Armee eingeführt, zunächst in einer ziemlich hohen Ausführung und in vielen Varianten, je nach Waffengattung. 1854 erhielten die Jäger ihren Tschako.(1) Diese Schnallen sind allerdings wahrscheinlich von einem Helm oder Tschako Modell 1895, der am bekanntesten ist. In der Artillerie wurde die Spitze gegen eine Kugel  ausgetauscht, um mögliche Verletzungen bei der Bedienung am Geschütz zu vermeiden, gepaart mit der Symbolik der Artillerie.

Abb. 2: „Helm mit Spitze“ der Fußartillerie, Modell 1895.
Replikat, Privatsammlung des Autors.

Es sind nicht viele Truppen, die solchen Lederriemen an ihren Helmen trugen. Die meisten Einheiten, vorne weg die Infanterie, hatten Kinnriemen, die aus Messing-Schuppenketten bestanden. Diese sollten in der Schlacht die Wangen der Soldaten vor Säbelschlägen schützen. Nur wenige Truppen hatten die billigere, aber auch unauffälligere Lederversion. Die Helme der Soldaten der Jägerregimente und der Fußartillerie um 1900 wurden mit solchen Lederriemen ausgestattet, aber auch Soldaten des Telegraphenbataillons, die einen ähnlichen Tschako wie die Jäger hatten. In Koblenz waren keine Jäger stationiert, daher handelt es sich wahrscheinlich um Schnallen vom Helm eines Fußartilleristen oder eines Telegraphisten.

Abb. 3: Bild eines Fußartilleristen um 1900. Privatsammlung des Autors.(2)

Die Fußartillerie entstand schon vor etwa 300 Jahren. Ab dem 18. Jahrhundert wurde in allen Armeen Europas ein Unterschied zwischen verschiedenen Arten der Artillerie gemacht. Von Fußartillerie spricht man, wenn die Bedienmannschaft zu Fuß ist und sich daher langsamer bewegt als die Feld- oder berittene Artillerie. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden zwar die Geschütze in beiden Fällen von Pferden gezogen und auch der Fußartillerist saß bei schnelleren Manövern doch auf der Protze oder auf einem der Zugpferde. Der hauptsächliche Unterschied zeigt sich in den bedienten Geschützen. Die Feldartillerie  führt die leichteren Kanonen, um die Schnelligkeit im Feld zu garantieren, wohingegen die Fußartillerie sich um die größeren Kaliber kümmert, das heißt auch um die Belagerungsgeschütze, Mörser und Haubitzen.

Abb. 4: Schwerer 42 cm Mörser um 1915. Postkarte, Privatsammlung des Autors.

Ursprünglich sind es allerdings nur einzelne Batterien, die diese Bezeichnungen trugen. Die Artilleriebrigaden, wie sie damals hießen, vereinten Kompanien der verschiedenen Artilleriearten. Um 1860 wurde mit der Gründung der Küsten- und Festungsregimenter eine erste Trennung der schweren Artillerieeinheiten von deren leichteren Kameraden erreicht. Ab 1872 wurde die gesamte schwere Artillerie unter dem Namen Fußartillerie zusammengefasst und offiziell 1874 von der Feldartillerie getrennt.(3)

Die Feldartillerie hat meistens Feindkontakt und trug daher entsprechend die Schuppenketten, um sich vor Säbelhieben zu schützen. Die Fußartillerie durfte allerdings normalerweise keine Feinde zu Gesicht bekommen, daher auch die billigeren und leichteren Riemen, um den Helm unter dem Kinn festzuhalten. Teilweise trugen die Soldaten sogar das sogenannte Krätzchen, die einfache Lagermütze, während des Einsatzes, wie auf der folgenden Abbildung ersichtlich.

Abb. 5: Fußartillerie beim Beschießen von Wackern (1870). Emile Schweitzer, 1896.
Farblithographie, Privatsammlung des Autors.

Bei der Feste Kaiser Franz war 1878 als einzige Artillerieeinheit das 2. Rheinische Feldartillerieregiment Nr. 23 in Koblenz aufgestellt und ab 1913 in der Feldartilleriekaserne auf dem Glacis der Feste stationiert.(4) Die schwere Artillerie saß auf der anderen Rheinseite: Das Fußartillerieregiment Nr. 8 war von 1826 bis 1877 in Koblenz und Ehrenbreitstein stationiert, ab 1893 und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges folgte das Fußartillerieregiment Nr. 9. Der Fundort unserer Schnallen ist leider nicht bekannt, auf jeden Fall stammen sie aus dem Koblenzer Raum, vermutlich vom linken Rheinufer bei den Rheindörfern und somit doch nicht weit entfernt von der Feste Kaiser Franz. Ob sich um einen Soldaten beim Ausgang oder im Einsatz handelte, der die Riemenschnallen verlor, ist natürlich nicht mehr zu ermitteln.

Abb. 6: Oberst von Herff, Oberbefehlshaber des 2. Rheinischen,
Feldartillerieregiments, um 1914. Privatsammlung des Autors.(5)

Allerdings gab es mehrere Perioden, in denen die Feste Kaiser Franz armiert wurde, um bei den europäischen Ereignissen reagieren zu können, insbesondere in den Jahren 1848 und 1870. Es ist anzunehmen, dass bei solchen Einsätzen zumindest eine Kompanie der Fuß 8 in der Festung eingesetzt wurde, um die schweren Geschütze zu bedienen. Nach dem Sieg gegen Frankreich 1871 und der Angliederung des Elsass und Lothringens an das Reich minderte sich die Bedeutung der Festung Koblenz zugunsten der Festung Metz. 1890 folgte die Aufgabe der Feste Kaiser Franz und auch das Fußartillerieregiment Nr. 8 wurde 1893 nach Metz versetzt.

Abb. 7: Fußartillerie Regiment Nr. 8 in Metz, 1904. Ansichtskarte, Privatsammlung des Autors.

Diese Schlaufen stammen wahrscheinlich von einem späteren Helm (Modell 1895) und wurden wahrscheinlich nie auf der Feste Kaiser Franz getragen, die zu dieser Zeit schon aufgegeben war. Es ist jedoch nicht ganz abwegig und daher schön sich vorzustellen, dass vor 140 Jahren ein junger Soldat, der auf der Feste Franz geweilt hätte, diese selbst getragen hätte.

Jean-Noël Charon

Anmerkungen

(1) Vgl. „Uniformes de l‘armée Allemande à l’exposition universelle de Paris en 1900 », vom Königlichen Preußichen Krigesministerium ausgegeben, Leipzig, 1900. „Supplément du catalogue officiel de l’exposition“, S. 25 ff.
(2)
(3) Vgl. „Das Kgl. Preuß. 2. Rhein. Feldart.-Rgt. Nr. 23 im Wetlkriege 1914-18“, Verlag Verband ehemaliger Angehöriger des 2. Rheinischen Feldartillerie-Regiments Nr. 23, Altenburg, 1929, „Kurzgefaßte Geschichte des Regiments von seiner Gründung bis 1914“.
(4) Vgl. ebd.
(5) Aus ebd.

Abbildungen

Abb. 1: Schnallen des Kinnriemens einer Pickelhaube. Privatsammlung des Autors, aus dem Nachlass von Jan Reuter (†).
Abb. 2: „Helm mit Spitze“ der Fußartillerie, Modell 1895. Replikat, Privatsammlung des Autors.
Abb. 3: Bild eines Fußartilleristen um 1900. Privatsammlung des Autors.
Abb. 4: Schwerer 42 cm Mörser um 1915. Postkarte, Privatsammlung des Autors.
Abb. 5: Fußartillerie beim Beschießen von Wackern (1870). Emile Schweitzer, 1896. Farblithographie, Privatsammlung des Autors.
Abb. 6: Oberst von Herff, Oberbefehlshaber des 2. Rheinischen Feldartillerieregiments, um 1914. Privatsammlung des Autors.
Abb. 7: Fußartillerie Regiment Nr. 8 in Metz, 1904. Ansichtskarte, Privatsammlung des Autors.

Fotos: Jean-Noël Charon, 2021.

Quellennachweis

• „Uniformes de l‘armée Allemande à l’exposition universelle de Paris en 1900“, vom Königlichen Preußichen Krigesministerium ausgegeben, Leipzig, 1900. „Supplément du catalogue officiel de l’exposition“.
• „Uniformen der alten Armee“, Waldorf Astoria Zigarettenfabrik GmbH, München, ohne Datum [1932]
• „Das Kgl. Preuß. 2. Rhein. Feldart.-Rgt. Nr. 23 im Weltkriege 1914-18“, Verlag Verband ehemaliger Angehöriger des 2. Rheinischen Feldartillerie-Regiments Nr. 23, Altenburg, 1929.