Fundstück der Woche 20/2020

Nachricht nach Hause, 27. November 1805

Das Fundstück der Woche 20/2020 stammt aus der Zeit vor dem preußischen Festungsbau. Wenn wir uns über die Feste Kaiser Franz oder im Allgemeinen über Festungswerke in Koblenz unterhalten, vergessen wir häufiger, dass es die Soldaten sind, die diese Werke besetzen und instandhalten müssen. In der Regel sitzen diese weit von Zuhause. Und in der Zeit der Festung Koblenz gab es noch keine funktelefonischen Möglichkeiten, um seinen Liebsten Nachrichten zukommen zu lassen: es wurden noch Briefe geschrieben.

Das Fundstück dieser Woche ist eben ein solcher Brief, noch aus der französischen Zeit, genauer gesagt aller Wahrscheinlichkeit nach vom 27. November 1805. Es ist ein Brief an eine Frau Collet, die in der Stadt Sézanne in der französischen Champagne wohnt.

Abb. 1: Deckblatt des Briefes mit Poststempel „102 Coblentz“

Collet

Wer ist diese Frau Collet und wer schreibt ihr? Die Adressierung selbst gibt uns schon eine sehr präzise Information: sie ist eine geborene Delatouche und Postdirektorin in Sézanne. Nach Betrachtung des Inhaltes des Briefes stellt sich heraus, dass es ihr Mann ist, der ihr schreibt.

Glücklicherweise hat diese Familie Spuren hinterlassen, die von Stammbaumforschern publiziert worden sind. Ein Blick in deren Genealogie und in das Archiv des Departments Marne gibt uns den Aufschluss: sie heißt Adélaïde Denyse de la Touche (°07. September 1769 in Sézanne, †14. Mai. 1835 Sézanne). Ihr Mann, und daher der Autor des Briefes, ist Claude Denis Louis Collet (°11.Dezember 1774, †13. März 1810 in Russland).(1) Sie heiraten in Sézanne am 21. März 1800. Claude ist zu diesem Zeitpunkt Premier-Leutnant bei den Pionieren und in Mainz stationiert, sein eigener Vater ist Direktor der Post für Briefe in dieser Stadt.(2) Bei der Geburt seiner Tochter Julie Denise am 11. November 1803 in Sézanne ist Claude inzwischen Hauptmann, aber nicht anwesend.(3)

Das Datum ist leider ohne Jahr, es steht nur der „6. Frimaire“, entsprechend dem damaligen gültigen Revolutionskalender. Nun, dieser wurde am 1. Januar 1806 wieder abgeschafft, und eine Bemerkung über eine „Mademoiselle Boissonnet“ ermöglicht eine Datierung des Briefes zwischen Ende 1802 und 1805. Da die Nichte von Adélaïde, Pauline Boissonnet, erst in Mai 1805 geboren wurde, können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit den Brief zum 6. Frimaire XIV oder 27. November 1805 datieren. (4)

Abb. 2: Datum und Unterschrift auf dem Brief

Bekannt ist zwar, dass Hauptmann Collet in Mainz bei den Pionieren stationiert ist, allerdings gehört er 1805 zu den Pionieren des Departments Rhein und Mosel, wie der Stempel des Briefes nachweist. Möglicherweise wurde er versetzt, um die Festung in Koblenz Instand zu halten. Diese wird damals noch Fort Marceau genannt, steht auf dem Petersberg und ist der französische Vorgänger der heutigen Feste Kaiser Franz. Über weitere Festungswerke in Koblenz wird in dieser Zeit nicht berichtet. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass das französische Kaiserreich sich von August 1805 bis zum Sieg bei Austerlitz am 2. Dezember 1805 im Krieg mit Österreich befindet, auch wenn die Kampfhandlungen sich ferner im Osten ereignen.

Die französische Kaiserliche Post

In Folge der Revolution wird die Post in Frankreich seit Mai 1793 vom Staat direkt verwaltet. 40 große Postrouten werden angelegt, um die Korrespondenz zwischen den größeren Städten zu sichern. Postdirektoren werden in den entsprechenden Zentren gewählt. Der Erster Konsul Napoléon Bonaparte verstärkt noch diese Zentralisierung mit dem Dekret vom 16. Juni 1801, der das Monopol des Staates für den Transport der Briefe bestätigt.(5)

Die Post wird am 19. März 1804 von einer Regie zu einer Generaldirektion umgewandelt. Daher der Titel der Postbeamtin als „Directrice des postes“.(6) Fraglich bleibt jedoch, ob dieser Titel an dieser Stelle doch nicht früher getragen wurde.

Abb. 3: Lineare Postmarke unseres Briefs

Damals gab es noch keine Briefmarken. Die Briefe werden mit der „linearen Postmarke“ gestempelt, die die Nummer des französischen Departements und die Ursprungstadt kennzeichnen. Bezahlt wird normalerweise beim Empfang („Port dû“), um eventuelle Verluste nicht im Vorfeld tragen zu müssen. Allerdings ist es bereits möglich, im Vorfeld zu bezahlen („Port Payé“). Da dieser Brief keinen Hinweis dazu zeigt, ist er sehr wahrscheinlich erst beim Empfang beglichen worden.

Hier zeigt der Brief jedoch eine zusätzliche Eigenschaft. Das Siegel ist ein offizieller örtlicher Militärstempel, und dort lässt sich noch die Aufschrift teilweise entziffern: „… GENIE DANS LE DEPT DE RHIN & M…“.

Abb. 4: Siegel des Briefs

Transkription des Textes

Für die Frankophilen ist nachfolgend der gesamte Text des Briefes wiedergegeben. Punkt und Komma, Orthographie und Grammatik sind vom Original beibehalten worden. Nur die Akzente wurden korrigiert, um die Lesbarkeit zu verbessern.

„A Madame Collet née Delatouche
Directrice des postes à Sézanne – Marne


Coblentz le 6 frimaire.

J’ai reçu avec grand plaisir, ma chère amie, ta lettre du 25 Brumaire. Je ne puis que te réitérer mes doléances sur mes fréquents voyages ; ils m’ont empêché de t’écrire, mais tu ne m’en parois pas fort convaincue, et cela n’est pas bien parceque je veux être cru ; je recommencerai toutes fois dans douze jours, si les voyages passés m’en laissent la force, ceque je dis sans plaisanterie ; sans être malade je sens que cette campagne ma extrêmement fatigué ; je me porte bien, mais je ne crois pas avoir un tempéramment assez robuste pour les fatigues que j’ai eu à essuyer depuis quelque année ; et déjà bien des infirmités sont à la porte. Tu croiras sans peine que c’est dans un accès de rhumatisme, fraîcheur ou autre suite de guerre que je t’écris, et tu croiras vrai. J’espère cependant avoir des forces suffisantes pour entreprendre le voyage de Sézanne sous moins de trente jours, car tu sais que je me mettrai en route, malgré tous les obstacles que je pourrais rencontrer. Il me paroit assez naturel que chevron soit venu à la 2e lettre. Ce sera un grand pas de fait pour les autres quand ils verront descendre le bled chez toi : le pain des tantes s’arrangera de même tout seul. Maman étant fixée n’aura plus envie de leur en donner : c’est mal à mes tantes après la parole qu’elles t’avoient donnée. Aussi après mes arrangements pris entre nous, nous ne les écouterons plus et n’en ferons qu’à notre tête, ce que nous pouvons faire avec la confiance intime ; que l’intérêt ne nous guide pas mais le bon emploi des choses.


Il paroit que Mlle Boissonnet est toujours indisposée, ce qui me fâche beaucoup. Je doute que mes finances me permettent de leur faire une visite car je t’apporterai à peine ce que je t’ai promis. Il est vrai que nous pourrions y mettre plus de sagesse que l’année dernière.

Avant tout, il faut arriver auprès de sa chère femme que j’embrasse en attendant de tout mon cœur, et à qui je proteste, que le plaisir de la revoir, m’occupe tout entier.


J’embrasse aussi maman, dont je retrouverai la maison avec bien du plaisir. Je suis pour la vie avec marine.


Amitié. Collet.

Je te prie de ne pas m’oublier auprès de mon papa et de maman. Tu leur diras que je suis occupé de 7 heure le matin à minuit, et tu diras moi.“

Jean-Noël Charon

Anmerkungen

(1) Vgl. https://gw.geneanet.org/darmancier?lang=fr&pz=benjamin+michel+bruno&nz=darmancier&p=adelaide+denyse&n=collin+de+la+touche , am 18.04.2020 aufgesucht.
(2) Vgl. Archives de la Marne, registre 2 E 629/209, vue 346, acte n° 33.
(3) Vgl. Archives de la Marne, registre 2 E 629/34, acte n° 18.
(4) Vgl. Archives de la Marne, registre 2 E 629/211, acte n° 17 und https://gw.geneanet.org/darmancier?lang=fr&pz=benjamin+michel+bruno&nz=darmancier&p=adelaide+denyse&n=collin+de+la+touche , am 18.04.2020 aufgesucht.
(5) Vgl. https://www.persee.fr/doc/flux_1154-2721_2000_num_16_42_1339, S. 8, am 21.04.2020 aufgesucht.
(6) Vgl. https://www.laposte.fr/chp/pages/chronologieperiode.php?tranche=4&pageActive=5&periode=1&subperiode=0, am 21.04.2020 aufgesucht.

Quellen

Archives de la Marne:
registre 2 E 629/209, vue 346, acte n° 33
registre 2 E 629/34, acte n° 18
registre 2 E 629/211, acte n° 17

Comité pour l’Histoire de la poste: https://www.laposte.fr/chp/pages/chronologie.php, am 21.04.2020 aufgesucht

Geneanet: https://gw.geneanet.org/darmancier?lang=fr&pz=benjamin+michel+bruno&nz=darmancier&p=adelaide+denyse&n=collin+de+la+touche, am 18.04.2020 aufgesucht

Persée: https://www.persee.fr/doc/flux_1154-2721_2000_num_16_42_1339, am 21.04.2020 aufgesucht

Abbildungen

Alle Fotos von Jean-Noël Charon, 2020