Fundstück der Woche 34/2018

Das Kriegsgefangenenlager in Lützel, 1870

Fundstücke haben an sich, in den skurrilsten Ecken aufzutauchen. Eine eher trockene Zeitschrift aus dem Jahr 1871 verbirgt so einen Schatz für die Koblenzer Geschichte. In der „Zeitschrift für Bauwesen“, Jahrgang XXI, Berlin 1871, taucht zwischen amtlichen Bekanntmachungen und bauwissenschaftlichen Mitteilungen ein Bericht über die Gefangenenlager in Koblenz auf, der von keinem geringeren als August von Cohausen, dem Erbauer bzw. Vollender der Ehrenbreitsteiner Stadtbefestigung, verfasst wurde.

Seit dem 31. Juli 1870 stand Preußen im Krieg gegen Frankreich. Rasch marschierten die deutschen Verbündeten in Frankreich ein und überrannten die Franzosen. Die Schlachten von Spichern, Wörth, Gravelotte, Sedan markierten die französischen Niederlagen. Schon ab September 1870 wurde Paris von den Preußen belagert.

Militärische Erfolge bedeuten auch die Notwendigkeit Kriegsgefangene unterzubringen. Die Möglichkeiten, die Franzosen in Koblenz aufzunehmen, waren schnell erschöpft. Zunächst in der Stadt und in den Festungsanlagen beherbergt, reichte dies bald nicht mehr aus, sodass gesonderte Anlagen gebaut werden mussten. In Koblenz entstanden daher zwei Gefangenenlager, das eine auf der Kartause mit einer Aufnahmekapazität von 10 000 Mann, das andere (Lager 2) für 10 000 Insassen sowie 500 Kranke in Lützel an der Feste Kaiser Franz, genauer gesagt vor der Bubenheimer Flesche. Der Lagerkommandant war Major von Linstow.

Abb. 1: Plan des Lagers 2 (Ausschnitt). Zeitschrift für Bauwesen, S. 79.

Ende November befanden sich bereits 15 000 Gefangener in dem Lager. Im Sommer waren nur Zelte aufgebaut worden, später kamen dann Strohhütten hinzu. Schließlich wurden nach und nach Baracken errichtet, die nicht nur einen relativen Komfort boten, vor allem aber beheizt werden konnten. 104 Gebäude wurden im November 1870 noch errichtet, später kamen 40 zusätzliche Baracken hinzu. Die Bevölkerung nannte das Lager „Klein Paris“.

Abb. 2: Plan einer Baracke (Ausschnitt). Zeitschrift für Bauwesen, S. 80.

Die Baracken waren mit Holztischen und Bänken ausgestattet. Nachts schliefen die Gefangenen auf Strohsäcken, die am Tag an der Wand gestapelt wurden. Drei bis fünf Öfen erhitzten den Raum. Erschwert wurde der Aufbau allerdings durch das spärliche Baumaterial, da das geeignete Holz aus entfernten Gebieten wie Schwarzwald oder Böhmen importiert wurde. Verwaltungsbaracken sowie Waschplatz, Latrinen, Küchen und Marketenderbuden am Rand der Anlage rundeten das Lager ab. Für letztere war anstelle des Lagerzauns der Budenschalter frei zugänglich gemacht. Bei Eintritt des Winters wurden die Wände verdoppelt, Strohdämmung sowie richtige Türen angebracht. Zusätzlich wurde am unteren Rand des Lagers ein Lazarett mit acht Baracken für je 50 Mann gebaut.

Das Lager wurde Anfang August 1871 aufgelöst. 58 Baracken sind zwischen dem Militär und den Behörden aufgeteilt und die anderen bis November 1871 öffentlich versteigert worden. Die während ihrer Inhaftierung verstorbenen Gefangenen wurden bei der Grabpyramide von Marceau am Fuß der Festungsanlage begraben (siehe Fundstück der Woche 08/2018).

Jean-Noël Charon

Quellen

Stadtarchiv Koblenz (StAK)
StAK DB 8: Militär, Nr. 12: Kriegsgefangenenlager, Zwangsarbeiterlager und Baracken, Stand: 9. März 2018.

Mittelrheinmuseum Koblenz (MRM)
Lager der französischen Kriegsgefangenen auf dem Petersberg bei Koblenz, 1870, Inventar-Nr. MRM G 1304 c.

Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang XXI, Berlin 1871, s. 79 ff., hier abgerufen am 26.08.2018.

Abbildungen

Abb. 1-2: Sammlung M. Kellermann, Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang XXI, Berlin 1871, S. 79 f.