Schüsse auf der Feste Kaiser Franz, 7./8. Juli 1932
Das Fundstück der Woche 41/2017 ist ein Artikel aus der Koblenzer Volks-Zeitung vom 9./10. Juli 1932. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli kam es auf dem Gelände der Feste Kaiser Franz zu einer Auseinandersetzung der Bewohner, in deren Verlauf auch Schüsse fielen.
Anmerkung Juli 2020: Dieser reine Textbeitrag (leider haben wir aus dieser Zeit keine Bilder der Feste Kaiser Franz) wurde für die Printausgabe der Fundstücke überarbeitet, schaffte es aber zuletzt doch nicht in das Buch.
Während der amerikanischen Besatzung von Koblenz (1918-1923) unterhielt die amerikanische Armee auf dem Gelände der Munitionsanstalt im Innenhof der Feste Kaiser Franz ein Lager, welches als Salvage Depot (Bergungsdepot) genutzt wurde. Dort konnten die Soldaten ihre unbrauchbaren Ausrüstungsgegenstände abgeben.(1) Nach der Freigabe der Munitionsanstalt durch die Amerikaner wurde das ca. 2,75 ha große Gelände(2) von der französischen Armee requiriert, die die Beschlagnahmung aber schon im September 1922 wieder aufhob. Zur Linderung der Wohnungsnot in Koblenz sollten im Anschluss 35 deutsche Familien, die durch die Einquartierungen französischer Familien u.a. in den Häusern des ehemaligen Bekleidungsamtes auf der Moselflesche wohnungslos geworden waren, in alle noch vorhandenen Gebäude einziehen.(3)
Das deutsche Reichsvermögensamt stand der Einrichtung von Wohnungen in der ehemaligen Munitionsanstalt jedoch ablehnend gegenüber, hielt es von den zahlreichen Bauwerken einzig das Hauptgebäude und den Frauenschuppen überhaupt für einen Ausbau geeignet. Dabei ging das Amt davon aus, dass die Ausbaukosten in keinem Verhältnis zur angenommenen Nutzungsdauer – nämlich nur vorübergehend – stünden und sich der Ausbau daher nicht bezahlt machen würde.(4) Auf dieser Grundlage lehnte auch die Reichsvermögensverwaltung den Ausbau Anfang Oktober 1922 wegen zu hoher Kosten zunächst ab.(5)
Letztlich bewog die große Wohnungsnot in Koblenz beide Behörden jedoch wenig später, dem geplanten Ausbau der Häuser doch zuzustimmen. Bis April 1923 standen die Gebäude allerdings leer bzw. wurden für die Unterbringung des Hausrats von Eisenbahnerfamilien genutzt, die durch die Requirierungen ihre Wohnungen verlassen mussten.(6) Diesen Leerstand der Munitionsanstalt nutzten u.a. Metalldiebe aus, um während der Weihnachtsfeiertage 1922 ca. 13 Meter Dachrinnen und eine Anzahl Abfallrohre aus Zink und Gusseisen zu entwenden.(7) Die eigentlichen Ausbauarbeiten an den einzelnen Gebäuden begannen erst Mitte 1923, etwa ab diesem Zeitpunkt waren dann auch wohnungslose Familien auf dem Gelände der Feste Kaiser Franz untergebracht.
Die eigentlich als Notbehelf gedachte Einquartierung der 35 Familien in der ehemaligen Munitionsanstalt blieb nicht auf den vom Reichsvermögensamt erwarteten kurzen Zeitraum beschränkt. Im Gegenteil: Bis 1932 wuchs die Zahl der hier lebenden Familien auf das doppelte an.(8) Die politische Ausrichtung der Bewohner war recht eindeutig, da die meisten, so berichtet die Koblenzer Volkszeitung im Juli 1932, den Kommunisten nahestanden, nur vier bekannten sich zu den Nationalsozialisten.(9) Unter dem Eindruck der alltäglichen Gewalt und der Anfeindungen, die sich einem Polizeibericht vom 8. Juli zufolge allerdings hauptsächlich gegen die Nationalsozialisten richteten,(10) hatten die Bewohner einen straff organisierten „proletarischen Selbstschutz“ gegründet.(11) Dieser im Rahmen der „Antifaschistischen Aktion“ (Antifa) aufgestellte Verband auf der Feste Kaiser Franz war 30 Mann stark, eine zweite Gruppe saß in der Kastorgasse in der Altstadt. Nachts stellte der „Selbstschutz“ am ehemaligen Festungsgelände „eine Wache auf, die im Besitze eines Signalhorns“ war „und beim Herannahen politisch-gegnerisch eingestellter Personen oder der Polizei durch Alarmblasen sie gesamte Kampfstaffel“ zusammenrief.(12)
Immer wieder, so der Polizeibericht, gab es Berichte über Angriffe auf Mitglieder der NS-orientierten Familien. „Insbesondere die vorerwähnten Nationalsozialisten der Feste Franz wurden regelmässig in den Abend- bezw. Nachtstunden aufgelauert und zum Teil, wie aus den vorstehenden Anzeigen hervorgeht, tätlich überfallen. Polizeibeamte der Revier-Zweigstelle Lützel konnten dabei feststellen, dass mit dem Signalhorn Alarm geblasen und auch Schüsse abgegeben wurden.“(13) Um einen sicheren Weg zu gewährleisten, wurden die Familien daher von SA-Männern auf die Feste zu ihren Wohnungen begleitet.
In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1932 eskalierte nun die Situation. Wie die Volkszeitung berichtet, war man auf kommunistischer Seite davon überzeugt, dass die „Faschisten“ einen Angriff auf die Feste Kaiser Franz planten. Um dagegen gewappnet zu sein, hatte der „Selbstschutz“ Wachposten über das Gelände verteilt. Einen solchen griffen zwei Polizisten in Zivil auf, die kurz nach Mitternacht am 8. Juli zwei Nationalsozialisten zu ihren Wohnungen begleitet hatten und sich nun auf dem Rückweg befanden.(14) Auf die Frage, was er um diese Zeit dort zu suchen hatte, antwortete er: „Ich mache hier Jagd auf Faschisten und Wenn du ein Faschist gewesen wärest, hätte ich dich abgekämmt, und zwar ganz alleine.“
Nachdem der Mann von einem dritten, abseits wartenden Polizisten in Gewahrsam genommen worden war, gingen die zwei Beamten noch einmal zurück auf die Anhöhe. Hier tauchten unvermittelt sechs bis acht weitere Personen auf, die nach Anruf durch die Polizisten das Feuer auf diese eröffneten. Als die Beamten das Feuer erwiderten, zogen sich die Angreifer feuernd auf die Feste Kaiser Franz zurück. Die zwischenzeitlich durch einige Beamte verstärkten Polizisten verfolgten die Angreifer bis in den ehemaligen Werkhof der Feste Kaiser Franz. Als die Beamten bis zu den Baracken vorgedrungen waren, stießen sie auf eine Gruppe von Bewohnern, die antifaschistische Abzeichen trugen. Die Polizisten untersuchten die Leute sofort nach Waffen. Inzwischen liefen aber immer mehr Bewohner zusammen; in der Mehrzahl wurden Frauen festgestellt. Sie nahmen eine sehr erregte Haltung ein und forderten mit heftigen Worten die Erschießung sämtlicher Faschisten. Der Führer der ganzen Gruppe gab offen zu, dass er Leiter der Wache sei, und zum Sammeln geblasen hatte. Er gab an zu wissen, dass die Faschisten die Feste Franz bestürmen wollten.
Aufgrund der unklaren Beweislage und ihrer Unterzahl zogen die Polizeibeamten wenig später unverrichteter Dinge wieder ab, um gegen 4.00 Uhr in der Frühe mit einem Großaufgebot von ca. 70 Beamten wieder anzurücken. Bei dieser Aktion wurden dann 10 Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren vorläufig festgenommen.(15) Beschlagnahmt wurden: ein Gummiknüppel, eine Pistolenpatrone, ein Signalhorn, ein mit „Wurfsteinen“ gefüllter Sack, ein Handbeil, ein „Stück Wasserschlauch“, ein Terzerol, eine Pistole sowie zwei Messer.(16)
Von den 10 Festgenommenen wurden fünf schon bald wieder auf freien Fuß gesetzt, die übrigen blieben zunächst in Untersuchungshaft. Bei der Verhandlung vor dem Koblenzer Landgericht erhielten vier der Beklagten einen Freispruch, lediglich der Anführer und Besitzer des Signalhorns wurde wegen Körperverletzung und auf der Grundlage des Paragraphen 12 der Notverordnung vom 14. Juni 1932 (Verordnung gegen politische Ausschreitungen) zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, seine sechswöchige Untersuchungshaft wurde angerechnet.(17)
Matthias Kellermann
Anmerkungen
(1) Vgl. Schreiben der AFG Nr. RLC/jeb vom 18.09.1922, in: BA Best. R 133 Nr. 79: Unterbringung verdrängter Familien (Häuser 14-17 Kaiser-Friedrich-Straße) Coblenz, S. 1f.
(2) Vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. 4408/VIII vom 13.04.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119: Feste Franz. Feldartillerie-Kaserne. Bubenheimer Flesche. Metternicher und Rübenacher Schanze. Munitionsanstalt. Wagenhausgelände. Ab 1.5.23, S. 120.
(3) Vgl. Schreiben der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete Nr. I 3 b 117 vom 07.10.1922, in: BA Best. R 133 Nr. 79, S. 16.
(4) Vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. 10061/L vom 30.09.1922, in: BA Best. R 133 Nr. 79, S. 5.
(5) Vgl. Schreiben der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete Nr. I 3 b 117 vom 07.10.1922, in: BA Best. R 133 Nr. 79, S. 16.
(6) Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. 4408/VIII vom 13.04.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119, S. 120.
(7) Vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts vom 29.12.1922 und Schreiben Nr. 611/VIII vom 13.01.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119, S. 85f. Zu dieser Zeit wird wiederholt über Metalldiebstähle im Bereich der Munitionsanstalt und des Artillerie-Depots berichtet (vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. 4953/B vom 20.12.1922, in: BA R 133/119). Unter dem Eindruck dieser Diebstähle genehmigte die amerikanische Besatzung den zuständigen Polizisten und den drei Hauswarten schließlich auch auf dem Gelände Schusswaffen zu tragen (vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts vom 29.12.1922 und Schreiben Nr. 611/VIII vom 13.01.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119, S. 85f.). Da die Diebe bei späteren Raubzügen auch den alten Reduiteingang der Feste Kaiser Franz nutzten, um ungesehen auf das am Fuß des Petersbergs liegende Depotgelände zu gelangen, fiel der Verdacht der Polizei zunächst auf die Bewohner der Munitionsanstalt (vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. Nr. 7117/VIII vom 25.06.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119, S. 45). Das Verfahren musste allerdings bereits wenig später ohne Ergebnis eingestellt werden, da den Bewohnern keine Verwicklung in die Diebstähle nachgewiesen werden konnte (vgl. Schreiben des Reichsvermögensamts Nr. 8559/VIII vom 08.08.1923, in: BA Best. R 133 Nr. 119, S. 46).
(8) Vgl. Vorbericht des Polizei-Kommissars Teichmann vom 08.07.1932, in: LHA Ko Best. Nr. (künftig: Vorbericht, 08.07.1932, LHA Ko), S. 289-295, hier S. 289.
(9) KVZ Nr. 156, 09./10.07.1932, 1. Seite 2. Blatt: Feuergefecht auf Feste Franz (künftig: KVZ Nr. 156, Feuergefecht).
(10) Vorbericht, 08.07.1932, LHA Ko, S. 289.
(11) KVZ Nr. 156, Feuergefecht.
(12) Vorbericht, 08.07.1932, LHA Ko, S. 289.
(13) Ebd., S. 289ff.
(14) KVZ Nr. 156, Feuergefecht. Laut Polizeibericht waren die Beamten vor Ort, „um die dortigen Zustände nochmals eingehend nachzuprüfen“. Es wird nicht explizit erwähnt, dass die Polizisten die „Nationalsozialisten“ zu ihren Wohnungen begleitet haben (Vorbericht, 08.07.1932, LHA Ko, S. 291).
(15) Ebd.
(16) Vorbericht, 08.07.1932, LHA Ko, S. 297. Bei einem Terzerol handelt es sich um “eine kleine Vorderladerpistole” (siehe Eintrag in der Deutschen Wikipedia).
Schreiben des Polizeipräsidenten Koblenz, Aktenzeichen Ia3 vom 30.09.1932, in: LHA Ko Best.