Die Kantine des YMCA, November 1920 – Januar 1921
Das Fundstück der Woche 47/2016 ist ein Dokument aus der Zeit der Entfestigung der Feste Kaiser Franz (1920-1922).
Während der amerikanischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg (1919-1923) betrieb der Christliche Verein junger Menschen / Young Men’s Christian Association (CVJM oder YMCA) eine ganze Reihe von Einrichtungen in Koblenz, die u.a. der Freizeitgestaltung der Armeeangehörigen dienten. An diese waren Kantinen angegliedert, in denen Heißgetränke wie Kaffee und Schokolade, aber auch Snacks und Eiskreme serviert wurden. Eine solche Kantinenbaracke war in einem Gebäude der ehemaligen Munitionsanstalt im Werkhof der Feste Kaiser Franz untergebracht. Sie diente u.a. als Anlaufpunkt für die in der benachbarten Feldartillerie-Kaserne stationierten amerikanischen Soldaten.
„Es war an einem Nachmittag Ende November [1920] als ich dort ankam und sogleich in die Kantine eingewiesen wurde, ein gemütliches, heiteres, gut beleuchtetes kleines Gebäude, wo ein Vogel sang und Männer Spiele spielten und sich vergnügten, sehr im Kontrast zum Trübsinn rings umher.“ […] Feste Franz ist eine belebte Kantine; von ihrer Öffnung um 13.00 Uhr bis um 22.00 Uhr, wenn wir die Männer bitten müssen zu gehen, sodass wir abschließen können, haben wir eine Menge Besucher. Von den 500 in der Kaserne stationierten Männern dient unsere Baracke täglich mindestens 250 auf verschiedene Weisen.„
Etwa Ende November 1920, also zu der Zeit, als der Autor in der Kantine seine Arbeit aufnahm, begannen auf dem Gelände rings umher die Entfestigungsarbeiten. Dies schadete zwar der Beliebtheit der Kantine nicht, machte einen Besuch dort während der Sprengarbeiten aber zu einem Abenteuer:
„Die Zukunft sah interessant aus, aber wie aufregend sie wirklich sein würde, wusste ich nicht, bis meine Einführung später am Nachmittag abgeschlossen war. Gegen 17.00 Uhr, nach dem schrillen Kreischen einer Sirene, ganz so wie diejenigen, die die Luftangriffe auf Paris angekündigt hatten, ging Jedermann eilends in Deckung; Kartentische wurden verlassen, Essen halb gegessen zurückgelassen, Geschirr in alle Richtungen zerstreut, und Soldaten, Deutsche und Sekretärinnen suchten Zuflucht in nahegelegenen Tunneln und unterirdischen Kellern, während eine Explosion nach der anderen die Luft zerriss, und große Mengen an Steinen und Dreck wurden auf das Gelände fortgeschleudert, prasselten wie Regen herunter auf das Dach der Baracke.“
Die Kantine des YMCA lag im hinteren Bereich des Werkhofs der Feste Kaiser Franz, etwa dort, wo sich links vom Reduit die Kehlmauer befand. Bei dem Gebäude handelte es sich wahrscheinlich um ein kleineres, nicht näher bezeichnetes Gebäude neben dem Korbschuppen der ehemaligen Munitionsanstalt. Mit dem Abriss bzw. der Höhenreduzierung der unweit hinter der Baracke stehenden Kehlmauer im Januar 1921 ergaben sich dort völlig neue Ausblicke.
„Die Entfestigungsarbeiten am Fort schreiten weiter voran, in einer stetigen, nicht wirklich aufregenden Art. Die massiven Mauern, 15 Fuß hoch, aus Stein und Beton, werden nun niedergerissen, aber dies wird mit Hacke und Schaufel ausgeführt und der Vorgang, obwohl nicht so dramatisch wie die täglichen Aufruhre im Dezember und November, ist ebenso interessant, als sich hierdurch neue Möglichkeiten und traumhafte Ausblicke auf den Rhein und seine Höhen ergeben. Die Mauer in unmittelbarer Nähe unserer Baracke wird nun gerade abgerissen. Etwa vier bis fünf Fuß Höhe bleiben bestehen, wodurch der Blick über das Tal und rüber zum Ehrenbreitstein nicht gehindert wird und wir in Bildern von der Berührung des Himmels mit den Hügeln, dem Funkeln entfernten Lichts und aufsteigender Nebel schwelgen können, und in all den anderen Schönheiten, die das Rheinland für alle Ewigkeit so romantisch machen. Eine Terrasse an dieser Seite unserer Baracke würde die sich aus dem Abriss offengelegten Möglichkeiten ergänzen.“
Mit der schrittweisen Reduzierung der amerikanischen Truppen, die 1923 in dem vollständigen Rückzug aus Koblenz mündete, verloren auch die Einrichtungen der YMCA mit ihren Kantinen nach und nach an Bedeutung. Am 2. Januar 1922 wurde die Kantine in der Feste Kaiser Franz schließlich endgültig geschlossen. Auch wenn die Baracken und die Häuser der Munitionsanstalt in den folgenden Jahrzehnten nach und nach verschwanden, so blieb die reduzierte Kehlmauer doch bis in die heutige Zeit erhalten. So kann man auch heute, fast 100 Jahre nach dem amerikanischen Autoren, wieder den freien Blick auf die Feste Ehrenbreitstein und die zu ihren Füßen liegende Stadt Koblenz genießen.
Matthias Kellermann
Quelle
The army on the Rhine. The navy and the merchant marine in Europe, Nr. 18, The International Committee of Young Men’s Christian Associations, 1921, S. 24ff.
Übersetzung M. Kellermann.
Abbildungen
Abb. 1: Foto R. Arenz, 2011