Fundstück der Woche 50/2022

Die Akten des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete, 1923-1930

Das Fundstück der Woche 50/2022 sind die Akten des Reichsministerium für die besetzten Gebiete, das im August 1923 unter Reichskanzler Gustav Stresemann eingerichtet worden war. Diesem neuen Ministerium wurden u. a. auch der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete und die Reichsvermögensverwaltung für die besetzten Rheinischen Gebiete zugeordnet.(1) Die Akten des Ministeriums werden heute vom Berliner Bundesarchiv aufbewahrt. Der Bestand R 1601 wird seit einigen Jahren mit Mitteln der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) digitalisiert und ist online über das Portal Invenio des Bundesarchivs abrufbar.(2)

Abb. 1: Briefkopf, 1923

Interessant für den Festungsforscher sind die nun online verfügbaren Akten zur Entfestigung im Rheinland, die zum Teil auch die Festung Koblenz und Ehrenbreitstein betreffen. So enthält z. B. der Bestand R 1601 Nr. 4075 einen digitalisierten Plan des Systems Feste Alexander mit den Loseinteilungen der Entfestigung(3) oder der Bestand R 1601 Nr. 4440 einige Fotos von den 1929 erfolgten Sprengungen der verbliebenen Infanterie-Unterstände auf dem Asterstein.(4)

Im Bestand R 1601 Nr. 4075 wird auch über den Zustand der entfestigten Werke auf dem Petersberg und über das Interesse der Stadt an den Liegenschaften berichtet. So ist im März 1923 zu erfahren, dass die Stadt Koblenz auch an einer Übernahme der Feste Kaiser Franz interessiert war und diesbezüglich schon Gespräche mit der Reichsvermögensverwaltung (RVV) aufgenommen hatte. Diese „Verhandlungen“ waren allerdings zunächst von Seiten der RVV auf Eis gelegt worden, „da sich noch nicht übersehen lässt, wie weit Reichsinteressen hier berücksichtigt werden müssen„. Zur Begründung führte die RVV weiter aus:

Das Gelände grenzt unmittelbar an das Kasernengrundstück des ehemaligen F.A.R. 23 [die Feldartillerie-Kaserne, Anm. d. Verf.] und an den Güterbahnhof Coblenz-Lützel. Es werden deshalb bei der späteren Verwertung die dringenden Wünsche des Reichsverkehrsministeriums zu berücksichtigen sein.“

Weiter heißt es zur Verwendung des verbliebenen Kernwerks der Feste Kaiser Franz:

Die hier erhalten gebliebene Kehlgrabenwehr liegt unmittelbar am Gleiskörper, sie läßt sich als großer, trockener Lagerraum ausnutzen, während das halbkreisförmige Reduit, von dem nur noch das reine Mauerwerk steht, wegen zu hoher Instandsetzungskosten keinen Nutzungswert mehr hat und bei sich bietender Gelegenheit auf Abbruch verkauft werden könnte.“(5)

Der hier beschriebene Zustand passt zu dem von Joseph Ring angefertigten Foto von 1920 und ist damit auch ein weiterer Hinweis dafür, dass das Gebäude nach dem Ersten Weltkrieg vermutlich nicht mehr als Kaserne genutzt wurde. Dankenswerterweise wurde das hier beschriebene mögliche Vorgehen in Bezug auf den Abbruch des Reduits nicht in die Tat umgesetzt (auch wenn das Bauwerk dann 1959 tatsächlich zerstört wurde).

Im weiteren Schriftverkehr wird dann auch genau beziffert, welche Geldmittel für die Regulierung des verwüsteten Festungsgeländes nötig gewesen wären. So sollte Stand Januar 1923 das partielle „Verfüllen von Sprenglöchern 250 cbm“ [gemeint ist vermutlich das Kriegspulvermagazin I unter dem Reduithof, Anm. d. Verf.] 200 000 Reichsmark kosten. Für das restliche, noch von der französischen Besatzung requirierte Festungswerk war ein fianzieller Bedarf von 12 000 000 Reichsmark ermittelt worden, u. a. für das „Zerkleinern und Verziehen der Trümmer der inneren Grabenwand in der rechten Flanke„, die im Anschluss mit einer einen Meter dicken Erdschicht bedeckt werden sollten, dem „Abbrechen und Verziehen der Trümmer des Ladesystems 2 und der Beseitigung von Sprenglöchern.(6) Welche dieser Arbeiten auch tatsächlich durchgeführt wurden konnte bislang allerdings nicht geklärt werden.

Die online einsehbaren Aktenbestände, die außerdem kostenlos runtergeladen werden können (wozu allerdings vermutlich die Anmeldung bei Invenio notwendig ist), bieten eine Fülle von Informationen rund um die Entfestigung der Rheinfestungen und stellen damit eine hervorragende Quelle für den Festungsforscher dar.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Vgl. Lilla, Joachim: Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete (1919-1930), hier abgerufen am 17.12.2022.
(2) Vgl. hierzu die Meldung „100.000 Akten digital und online recherchierbar„, hier abgerufen am 17.12.2022.
(3) Siehe Entfestigungsamt Coblenz Loseinteilung, November 1921, in: Bundesarchiv (BArch) Best. 1601 Nr. 4075, S. 148. Ein weiterer Plan der Feste Kaiser Franz wurde der Akte leider entnommen und dementsprechend nicht gescannt.
(4) Vgl. Lichtbilder der Entfestigungsarbeiten 1929 auf dem Asterstein in Koblenz, Reichsvermögensamt Koblenz, in: BArch Best. 1601 Nr. 4440, S. 252f.
(5) Coblenz. Zu Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete. E/12 vom 19.3.23, in: BArch Best. 1601 Nr. 4075, S. 125-130, hier S. 127.
(6) Ebd., S. 129f.

Abbildungen

Abb. 1: Sammlung M. Kellermann, Schreiben der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten Rheinischen Gebiete, 1923 (Ausschnitt)