Heute vor 100 Jahren – Der endgültige Abzug der amerikanischen Besatzung aus Koblenz

Am 24. Januar 1923 zog sich die amerikanischen Besatzung aus Koblenz zurück. Damit ging die etwas mehr als vier Jahre währende amerikanische Präsenz in Koblenz zu Ende. Dieser Abzug hatte sich schon 1922 mit mehreren Reduzierungen der amerikanischen Truppenstärke angekündigt und war begleitet von der schrittweisen Erhöhung französischer Truppen in der Stadt. Die amerikanisch besetzte zweite (Koblenzer) Besatzungszone wurde nun endgültig an Frankreich übergeben. Anlass war die Ankündigung Frankreichs, die Ruhr besetzen zu wollen.

Nachdem das Deutsche Reich im Laufe des Jahres 1922 seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und keinen Aufschub mehr erhielt, wurde Deutschland wegen ausbleibender Reparationsleistungen als vertragsbrüchig erklärt. Infolgedessen kündigte Frankreich am 10. Januar 1923 die Besetzung des Ruhrgebiets an, was als Drohung bereits vorher längere Zeit im Raum gestanden hatte.

Solange die Anwesenheit amerikanischer Truppen am Rhein, wenngleich bei der Truppenstärke von 1.200 Mann eher symbolischer Natur, die französischen Bestrebungen in Bezug auf das Rheinland hemmte und einer friedlichen Nachkriegsordnung förderlich war, unterstützen der Kongress und die Verwaltung Präsident Hardings die Verlängerung der amerikanischen Präsenz im Rheinland. Gegen Ende des Jahres 1922 schien sich dieser Effekt nun totzulaufen, außerdem waren die Amerikaner des Themas Besatzung überdrüssig. Nachdem nun die Franzosen am 10. Januar 1923 die Besetzung der Ruhr angekündigt hatten, fassten die USA den endgültigen Entschluss zum Abzug aus dem Rheinland.(1)

Eilig mussten im Januar 1923 die Vorbereitung für den Rücktransport in die USA getroffen werden. Was für die Rückführung vorgesehen war, wurde in Züge oder Schiffe verladen, nicht mehr benötigte Gegenstände wurden dagegen veräußert. Dem schnellen Abzug kam entgegen, dass nur ein Standort geräumt werden musste – die letzten amerikanischen Einheiten waren schon 1922 in den Kasernen an der Steinstraße konzentriert worden.

Abb. 1: Räumung der Kasernen an der Steinstraße, 1923

Schlusspunkt des amerikanischen Engagements in Deutschland war eine Feierstunde auf dem Oberehrenbreitstein, bei der u. a. auch der Präsident der IRKO Paul Tirard und der Oberkommandierende der A.F.G. General Henry T. Allen anwesend waren.

Abb. 2: Paul Tirard und Henry T. Allen mit französischen Offizieren am 24. Januar
auf der großen Traverse, 1923

Die Zeremonie des Niederholens des Sternenbanners war ab 12.00 Uhr mittags am Flaggenmast auf der großen Traverse des Festungswerks geplant. Anwesend waren neben den französischen und amerikanischen Ehrengästen auch zwei Kompanien der 8. amerikanischen Infanterie mit ihrer Regimentsmusik auch eine französische Abteilung bestehend aus 100 Mann samt eigener Regimentsmusik.(2) Hierbei könnte es sich um Soldaten des 156. französischen Infanterie-Regiments handeln, die in Ehrenbreitstein in der ehemaligen Münzkaserne (jetzt Caserne Argonne) untergebracht waren.(3)

Abb. 3: Amerikanische und französische Soldaten samt Regimentsmusik auf der
großen Traverse der Feste Ehrenbreitstein, 24. Januar 1923

Für 12.00 Uhr sollte dann zum Rückzug der Amerikaner geblasen werden. Die unverzüglich anschließende Zeremonie des Niederholens der Flagge wurde von zwei noch im aktiven Dienst stehenden Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs vom 7. amerikanischen Maschinengewehr-Bataillon durchgeführt. Die „sorgfältig gefaltete“ Flagge sollte dann von General Allen persönlich in Empfang genommen und wenig später an einen Träger übergeben werden, der von den Regimentsflaggen eingerahmt wurde.(4) Während der Zeremonie spielte die französische Musikeinheit zum „Star- Spangled Banner“ auf. Im Gegenzug ließen die amerikanischen Musiker während des anschließenden Hissens der französischen Trikolore die „Marseillaise“ erklingen.(5)

Abb. 4: Niederholen der amerikanischen Flagge auf der Feste Ehrenbreitstein,
24. Januar 1923
Abb. 5: Hissen der französischen Trikolore, 24. Januar 1923

Die amerikanischen Soldaten marschierten nach dem Niederholen der Flagge an den „Honoratioren“ vorbei über den Schlosshof zum Fuße des Ehrenbreitsteins und von dort auf die linke Rheinseite zu ihrem Sammelpunkt in den Kasernen an der Steinstraße. Von hier aus führte sie ihr Weg um 15.15 Uhr über die Moselweißer Straße, den Kaiserin-Augusta-Ring (heute Moselring) und die (obere) Löhrstraße durch die Stadt zum Koblenzer Hauptbahnhof. Der gesamte Weg war währenddessen von einer französischen „Ehrengarde“ gesäumt. Die Soldaten nahmen dann am Hauptbahnhof Aufstellung,(6) wo General Allen und Paul Tirard die Reihen noch einmal abschritten.(7) Anschließend bestiegen die Soldaten ihre Züge in Richtung Heimat. Als letzter reiste General Allen am Februar 1923 aus Koblenz ab.(8)

Als an diesem 24. Januar das Sternenbanner auf dem Ehrenbreitstein niedergeholt und durch die französische Trikolore ersetzt wurde, war die Koblenzer Bevölkerung zutiefst beunruhigt. Oberbürgermeister Karl Russell begrüßte daher die weitere Anwesenheit der amerikanischen Militärpolizei, die für stabile Verhältnisse in der Stadt sorgte. Mit dem aus der Ruhrbesetzung resultierenden passiven Widerstand gegen die neuen französischen Machthaber in Koblenz, der Hyperinflation und schließlich der Ausrufung der Rheinischen Republik am Schloss im Oktober standen den Koblenzer Bürgern 1923 unruhige Zeiten ins Haus.

Die 1923 niedergeholte Flagge sollte aber noch einmal nach Koblenz zurückkehren. Als die Amerikaner im März 1945 kurzfristig wieder Besatzungsmacht in Koblenz waren, wurde eben jene eigens aus den USA herbeigeholte Flagge erneut auf dem Ehrenbreitstein gehisst. Zu diesem Zeitpunkt war Koblenz aber nicht mehr die Stadt, die die Amerikaner im Januar 1923 verlassen hatten.

Matthias Kellermann

Anmerkungen

(1) Zitat aus dem Artikel American Forces in Germany in der Deutschen Wikipedia. Zur Quelle vgl. Alexander F. Barnes: Representative of a Victorious People. The doughboy watch on the Rhine, in: Army History. PB 20-10-4 (No. 77) Washington, D.C., 2010, S. 17.
(2) Vgl. Here’s the dope on flag ceremony at Coblenz today, in: The Amaroc News Vol. 4 Nr. 279, 24.01.2923, S. 1.
(3) Vgl. The Amaroc News, Vol. 4, 21.07.1922, S. 6.
(4) Vgl. The Amaroc News Vol. 4 Nr. 279, 24.01.2923, S. 1. Auf einer zeitgenössischen Fotografie wirkt die „sorgfältig gefaltete“ Flagge eher wie ein eilig zusammengerafftes Knäuel. Siehe Sammlung M. Kellermann, Fotografie A. Frankl., unbekannte italienische Zeitschrift, undatiert.
(5) The Amaroc News Vol. 4 Nr. 279, 24.01.2923, S. 1.
(6) Ebd.
(7) Siehe z. B. die Fotografie aus dem Stadtarchiv Koblenz, FA1 Amerikanische Besatzung verlässt Koblenz Bahnhofsvorplatz 24.01.1923-03.
(8) Vgl. Allen, Henry T.: Mein Rheinland-Tagebuch, Berlin 1924, S. 377.

Abbildungen

Abb. 1: Sammlung M. Kellermann, Foto John Graudenz, 1923, Abb. in: L’Illustration Nr. 4170, 3.02.1923, S. 96
Abb. 2: Sammlung A. Bode-Kessler, Foto Lindstedt & Zimmermann, Koblenz, 24.01.1923
Abb. 3: Sammlung M. Kellermann, unbekannter Fotograf, Koblenz, 24.01.1923
Abb. 4: Sammlung A. Bode-Kessler, Foto Lindstedt & Zimmermann, Koblenz, 24.01.1923
Abb. 5: Sammlung M. Kellermann, Foto Lindstedt & Zimmermann, Koblenz, 24.01.1923, Abb. in: L’Illustration Nr. 4170, 3.02.1923, S. 94